Zuchtmethoden


Eine der Schwierigkeiten, die eine seriöse Rassezucht von einer unwillkürlichen Vermehrung unterscheiden, ist die Auswahl der Zuchtmethode, die zum gewünschten Zuchtziel führt. In Bezug auf die Meerschweinchenzucht kann das bei seltenen Rassen sogar extrem schwierig werden, da es zu wenig Züchter gibt, die einen gesunden Austausch von Zuchttieren zur Erweiterung des Genpools ermöglichen.

Zunächst ist es aber wichtig, die Zuchtmethoden zu kennen um auch Begriffe wie Inzucht und Inzestzucht richtig einordnen zu können. Genau diese beiden Begriffe lösen bei den meisten Menschen erst einmal Unbehagen oder gar Angst aus, da sie in den moralischen Vorstellungen der Menschen grundsätzlich negativ belegt sind.  Wenn sie in der Zucht richtig angewandt werden, können Züchter dadurch durchaus pofitieren, da sie schneller zu Reinerbigkeit der Rassemerkmale führen.  Dazu gehört neben der kritischen Auswahl der Elterntiere auch, Entscheidungen betreffend die Selektion der Zuchttiere zu treffen.


  1. Linienzucht
  2. Inzucht/Inzest
  3. Merkmalszucht/Fremdzucht
  4. Ausgleichszucht
  5. Outcross
  6. Kreuzungszucht
  7. Qualzucht

 

 

Linienzucht:

 

Definition:  Eine Verpaarung von Tieren, die näher miteinander verwandt sind als der Durchschnitt der Rasse, nach einem strengen Zuchtplan. Siehe auch Artikel Inzucht.

Bei der Linienzucht handelt es sich um ein aufwändiges Zuchtprogramm bei der die Elterntiere einer  Folgegeneration unter strengen Kriterien ausgewählt werden. Das Ziel ist, gesunde Zuchtlinien (Väter und Mütter) mit besonders guten Rassemerkmalen  zu züchten und die guten Rassemerkmale zu festigen.
So erhält man auf schnellem Weg  Nachkommen mit rassetypischer Reinerbigkeit.  Erbkrankheiten und unerwünschte  Rassemerkmale werden dabei ebenfalls aufgedeckt und die Tiere können gezielt selektiert werden. Durch diese Zuchtmethode steigt der Inzuchtkoeffizient, Linienzucht ist also gemäß der Definition nichts anderes, als Inzucht/Inzestzucht. In den Ahnentafeln findet man also Elterntiere mehrfach aufgeführt.

Warum gibt es dann die unterschiedlichen Definierungen von Inzucht, Inzestzucht und Linienzucht? Der Unterschied ist graduell, da Linienzucht eine höhergestellte, aber abgeschwächte Form der Inzucht ist und nach einem Zuchtplan erfolgt. Man spricht auch von gemäßigter Inzucht. Bei der Linienzucht lässt sich der Verwandschaftsgrad durch den Inzuchtkoeffizienten und den Ahnenverlustkoeffinient errechnen. Diese beiden Werte sagen uns, wie eng Meerschweinchenlinien gezüchtet sind, also wie nahe sie miteinander verwandt sind.

Ab einem gewissen Grad, im Falle der Nager ist dies laut Fachliteratur ein Inzuchtkoeffizient von 20%, muss auch bei bis dahin gesunden Linien wieder der Genpool erweitert werden.

Genauso, wie negative Eigenschaften durch die abnehmende Genvielfalt verstärkt werden, verstärken sich aber auch positive Eigenschaften. Das macht sich die Zucht zunutze, wenn sie Inzucht, um ganz bestimmte Zuchtziele zu erreichen. Dabei ist dann meist allerdings die Rede von Linienzucht. Bei einer echten Linienzucht sind aber nicht einzelne Inzuchtverpaarungen gemeint, sondern ein aufwändiges Zuchtprogramm, dass im Idealfall mehrere Linien umfängt, die untereinander nicht verwandt sind, aber sehr ähnliche Eigenschaften aufweisen.



Vorteile der Linienzucht:
-schnellerer Zuchterfolg durch Reinerbigkeit der Nachkommen
- Festigung der rassetypischen Eigenschaften
-einfache Rückverfolgung der genetischen Anlangen, wie Fellfarbe
-schnelle Aufdeckung des Vorhandenseins einiger genetischer Fehler → Selektion, Zuchtausschluss


Nachteile:

-auftreten von Inzuchtdepression sind ab einem gewissen Grad der Inzucht möglich
-auch negative Rassemerkmale können sich durch die Linienzucht festigen



               
Diese Methode ist weit verbreitet und es gibt verschiedene Anwendungen:

-Einmalige Rückverpaarung auf einen Elternteil
-Einmalige Geschwisterverpaarung
-Zuchtlinie über mehrere Generationen und Linien. Nachkommen aus Rückverpaarungen werden immer wieder
  auf ein bestimmtes Anfangsindividuum zurück verpaart. Diese Linien werden dann mit Individuen  
  aus anderen Zuchtlinien gekreuzt, wobei die Reinerbigkeit erhalten bleibt.

Anwendungsbeispiel einer engen Linienzucht:

 

 Vaterlinie  Mutterlinie
   .
Ein gesunder Bock mit möglichst idealen Rassemerkmalen wird als Stammbock eingesetzt.  Eine gesunde Sau mit möglichst idealen Rassemerkmalen wird als Stammsau ausgewählt.
  Aus dem Wurf wird die beste Sau F1 und der beste Bock F1 ausgewählt und miteinander verpaart. Dadurch entstehen 2 Linien.
F1 Sau wird mit Stammbock rückverpaart.
Aus den Nachkommen wird das beste männliche Tier (F2) ausgewählt und wiederum mit der Stammsau verpaart
F1  Bock wird mit Stammsau rückverpaart.
Aus den Nachkommen wird das beste weibliche Tier (F2) ausgewählt und wiederum mit dem Stammbock verpaart
 Aus der Paarung Stammbock mit F2 Sau wird wieder das beste weibliche Tier F3 ausgewählt und mit dem Stammbock verpaart. Aus der Paarung Stammsau mit F2 Bock wird wieder das beste männliche Tier F3 ausgewählt und mit der Stammsau verpaart..

 

Eine gewissenhafte Auswahl der Zuchttiere ist für den Erfolg einer Linienzucht absolut essentiell. Sollten erbliche Dispositionen auftreten, wie beispielsweise Zahnfehlstellungen oder schlimmere genetische Defekte muss man alle verwandten Tiere konsequent aus der Zucht nehmen!

 

 

Inzucht

 

Definition: Die Verpaarung zwischen zwei Tieren, die näher miteinander verwandt sind als zwei zufällig aus der Population herausgegriffene Tiere. 

Unter diesem Begriff versteht man im allgemeinen die bevorzugte Paarung zwischen sehr nahen Blutsverwandten oder  die Kreuzung  genetisch möglichst reinrassiger Zuchtlinien.
Hierbei wird das Auftreten möglichst stark ausgeprägter Rassemerkmale forciert, wie auch in der Linienzucht. 

Mit der Inzucht steigt allerdings auch die Wahrscheinlichkeit, dass unerwünschte Eigenschaften auftreten, bzw. Gendefekte durch Verdopplung rezessiver Genpaare sichtbar werden, wenn diese Genpaare bei beiden Elternteilen vorhanden sind. 

Warum gezielte Inzucht bis zu einem gewissen Grad möglicherweise doch sinnvoll sein kann, ist  im Artikel Linienzucht ausführlich beschrieben. 


Mögliche Folgen der Inzucht/Inzest bei Meerschweinchen:

  • Schlucklähmung: Verpaarung aus Inzucht/Inzest ist häufig Ursache der gefährlichen Schlucklähmung, die oft den Tod der Meerschweinchen zur Folge hat und vielen Meerschweinchen-freunden sicher ein Begriff ist. Schlucklähmung muss sofort behandelt werden, bei älteren Tieren kommt meist jede Hilfe zu spät.
  • Verkürzung der Lebensdauer: Die Meerschweinchen haben eine geringere Lebenserwartung
  • Körpergröße: Bei einem hohen Inzuchtgrad über mehere Generationen zeigt sich, dass die Tiere kleiner werden und einen schwächeren Körperbau haben.
  • Fruchtbarkeit: Die Fruchtbarkeit verringert sich.
  • zu kleiner Genpool
  • Inzuchtdepression
  • Minderung der Intelligenz

In der Natur kommt Inzucht durchaus auch immer wieder vor, besonders bei Meerschweinchen, die ja in großen Familienverbänden leben. Dennoch reguliert die Natur hier auch immer wieder, da laufend Familienmitglieder die Gruppe verlassen (insbesondere Böcke) und aber auch neue Familienmitglieder dazu kommen. Wann immer ein Abwandern der Tiere nicht möglich ist, entsteht Inzucht zwangsläufig über mehrere Generationen. Geschädigte Tiere sind meist nicht oder zumindest nicht lange überlebensfähig und können sich daher nicht fortpflanzen. So erhält die Natur gesunde Populationen. Die Devise: Nur die starken überleben. 

Wenn der Genpool jedoch zu klein wird, weil eine natürliche Erweiterung des Genpools nicht möglich ist,  kann es auch in der Natur zu genetischen Veränderungen und Fehlentwicklungen kommen. Dies kann auch dazu führen, dass eine Population völlig ausstirbt.

Inzest

Definition: Als Inzestzucht bezeichnet man Verpaarungen von Tieren, die ersten Grades miteinander verwandt sind. Also Geschwisterverpaarungen, Vater-Tochter oder Mutter-Sohn Verpaarungen. Bei Nagern ist Inzest oder Inzucht beim verantwortungsvollen  Einsatz gesunder Elterntiere im bis zu einem gewissen Grad nicht Schlimmes, sondern angewandte Zuchtpraxis in der  Linienzucht. Wichtig ist dabei, wieder rechtzeitig durch Outcross einer Inzuchtdepression entgegengesteuert wird. 


Merkmalszucht


Unter Merkmalszucht, auch Fremdzucht genannt, versteht man die Verpaarung von 2 Tieren gleicher Rasse, die aber nicht miteinander verwandt sind. Die Auswahl der Zuchttiere erfolgt nach bestimmten Merkmalen der Tiere, die besonders gut ausgeprägt sind, wie z. B. typvoller Körperbau oder große Augen. Man hat dabei die Annahme, dass die Eltern ihre positiven Eigenschaften an die Nachkommen vererben werden, obwohl sie unterschiedliche genetische Ausstattung haben. Letztendlich wird sich das aber erst in der F1 Generation zeigen. Wenn man Glück hat, sieht man bereits in der ersten Generation einen Zuchterfolg. Möglich ist aber auch, dass man mit dem 1. Wurf ein Überraschungspaket erhält, mit dem man nicht gerechnet hat, weil sich zufälligerweise 2 Genpaare treffen, von denen man nichts wusste, die weit hinten in den Ahnen verankert sind.

So kann, und das ist mir wirklich einmal passiert, bei der Verpaarung von 2 gut bewirbelten Angoras plötzlich ein kompletter Wurf Shelties fallen. 

Gleiches x Gleiches ergiebt also nicht unbedingt Gleiches - denn die Genetik folgt ihren eigenen Regeln.

 

 

Ausgleichszucht

 

 Als Ausgleichszucht wird eine andere Form der Merkmalszucht bezeichnet.

Wenn ein weibliches Meerschweinchen nicht optimale  Rassemerkmale hat, verpaart man sie mit einem optimalen Bock und hat eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass optimierte Nachkommen fallen, oder zumindest verbesserte Merkmale unter der Bewahrung der postiven Merkmale der Mutter.

 

Outcross

 

Outcross, auch Auskreuzung ist ein wichtiger Bestandteil der Linienzucht und darf nicht mit Merkmalszucht verwechselt werden. 
Zum Outcross werden ausschließlich Tiere verpaart, die auf Linie gezüchtet, aber genetisch fremd sind. 
Die Nachkommen dieser Verpaarungen sind oft besonders typvoll und gesund, man nennt das auch den Heterosiseffekt. 

Da sie einen besonder hohen Antei an heterozygoten Genen besitzen, sind sie mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit keine allzuguten Vererber, allerdings können sie zur Rückkreuzung auf die Ursprunslinien sehr gut geeignet sein. Diese Methode wird dann angewandt, wenn sich im Lauf der Zeit Zuchtfehler eingeschlichen haben.

Nach der Auskreuzung sollten die Linien weiterhin streng getrennt geführt werden, da sich möglicherweise der Effekt bereits bei der Verpaarung zweier ausgekreuzter Meerschweinchen untereinander wieder verliert. 

 

Kreuzungszucht

 

Bei dieser Zuchtmethode werden Elterntiere von unterschiedlichen Meerschweinchenrassen miteinander verpaart. Die Nachkommen sind dann in der 1. Generation Hybride, also Mischlinge. Diese Zuchtmethode hat das Ziel durch die Kreuzung von zwei unterschiedlichen Rassen einen neuen Genotyp zu kombinieren und dadurch eine neue Rasse zu erschaffen, in dem man durch Selektion weitere Kreuzungen und letztlich auch Linienzucht eine Population erzeugt, deren Erbanlagen konstant sind, also homozygot. Hier tritt die 3. Mendelsche Regel in Kraft, das Rekombinationsgesetz. So die Theorie, Voraussetzung ist natürlich, dass die eingesetzten Elterntiere der F1 Generation reinerbig sind. 

Die meisten Rassen sind durch Kreuzung von 2 verschiedenen Rassen enstanden und wurden dann durch gezielte Weiterzucht zum jeweiligen Zuchtziel ausgebaut. Wenn es um das Einkreuzen anderer Rassen zur Verbesserung einzelner Rassemerkmale geht, spricht man von Veredelungszucht. 

In der Meerschweinchenzucht nenne ich hier als Beispiel in meiner Angorazucht die Einkreuzung von Rosettenmeerschweinchen, um die Wirbel und die Fellstruktur zu verbessern. Es entstehen in der F1 Generaton "Rosettenmixe", also Mischlinge aus den lanhaarigen Angoras und den kurzhaarigen Rosettenmeerschweinchen. Mit etwas Glück erhält man durch die Verpaarung dieser Mixe mit guten Angoras bereits in der F2 Generation schon wieder Angoras, die oftmals aber noch defizite in der Felllänge am Pony und den Backenbärten haben. In der Regel erhält man aber spätestens in der F3 Generation bereits wieder Angoras, bei denen dieses Defizit wieder ausgeglichen ist. 

 

Qualzucht

 

Als Qualzucht bezeichnet man in der Tierzucht die Förderung von Eigenschaften, die zu Schmerzen, gesundheitlichen Beeinträchtigungen, Leiden oder Verhaltensstörungen führen. Qualzucht ist gemäß § 11 b des deutschen Tierschutzgesetzes verboten. Mehr zum Thema Qualzucht bei Meerschweinchen gibt es auf der Seite Tierschutz.

 Rassen,  die aus reinem Idealismus heraus gezüchtet werden und deren Zucht zumindest in Deutschland, teilweise verboten ist, weil sie die Tiere in Lebensqualität und Gesundheit teilweise stark beeinträchtigen.


Dazu gehören in Bezug auf die Meerschweinchen z. B. die Baldwins und Skinnys, deren Zucht leider bislang nicht grundsätzliche verboten ist. Jedoch wird die Rasse von vielen Zuchtverbänden nicht als Rasse anerkannt. 

Skinnys sind Meerschweinchen die nackt, also gänzlich ohne Körperbehaarung zur Welt kommen und nackt bleiben.

Baldwins sind Meerschweinchen die zunächst mit Fell geboren werden, denen aber dann eine Großteil ihrer Körperbehaarung verlieren.

Da die Körperbehaarung vielfältige Schutzfunktionen erfüllt, die diesen armen Kreaturen dann fehlen, sind diese Tiere nicht nur anfälliger gegen Verletzungen und Krankheiten, sondern verlieren alleine durch die Tatsache, dass sie niemals im Freigehege gehalten werden können, einen erheblichen Teil ihrer Lebensqualität.

Wer daran zweifelt, der möge sich bitte mal mehrere Stunden nackt in einem Heuhaufen wälzen, am besten bei schlechter Witterung!

 Nähere Infos dazu gibt es auch auf der Seite →"Die Brain"