Fachbegriffe aus der Zucht

Genetische Diversität und Inzuchtdepression: Schlüsselbegriffe in der Zuchtbiologie

Wer geplant züchtet, sich also damit deutlich von Vermehrern abhebt, der wird sich bei der Zuchtplanung auch mit Dingen wie Inzuchtkoeffizient auseinander setzen müssen. In diesem Artikel werden derartige Fachbegriffe einfach erklärt. 


Doktorhut mit Papierrolle
  1. Inzuchtkoeffizient
  2. Ahnenverlustkoeffizient
  3. Heterosiseffekt
  4. Foundereffekt
  5. Überzüchtung
  6. Inzuchtdepression
  7. Purging

Inzuchtkoeffizient

Der Inzuchtkoeffizient sagt aus, wie nahe Tiere miteinander verwandt sind. Der IK ist in der Linienzucht ein wichtiges Hilfsmittel. 

Übersichttabelle für Inzuchtkoeffizienten

Vorausgesetzt, dass die Elterntiere selbst nicht ingezüchtet sind, lassen sich folgende Inzuchtkoeffizienten errechnen:

Inzestzucht (engste Inzucht):

Inzucht-Koeffizient 
Paarung von Tieren 1. und 2. Verwandtschaftsgrades

 
Elternteil x Kind 25,00%
Vollgeschwister 25,00%
Halbgeschwister 12,50%
Onkel + Nichte, Tante x Neffe 12,50%
Großeltern + Enkelkind 12,50%
Zweifache Cousins ersten Grades 12,50%
4 fach Halbcousins ersten Grades 12,50%

Enge Inzucht (nahe Inzucht)
 :

Paarung von Tieren im 3. und 4. Verwandtschaftsgrad.

 
3-fache Halbcousins ersten Grades 9,38% 9,38%
1-fache Cousins ersten Grades 6,25% 6,25%
2-facher Cousin ersten Grades + Cousin zweiten Grades 6,25%
2-facher Halb-Cousin ersten Grades 6,25% 6,25%


Mäßige Inzucht (weite Inzucht):

Paarung von Tieren im 5. und 6. Verwandtschaftsgrad

 
1-facher Cousin ersten Grades + Cousin zweiten Grades 3,13%
2-fache Cousins zweiten Grades 3,13% 3,13%
1-fache Halb-Cousins ersten Grades 3,13% 3,13%
1-fache Cousins zweiten Grades 1,56% 1,56%

 

Zur Berechnung gibt es diverse Formeln, die aber eine hohe Rechenleistung erfordern. Ich selbst verwende dafür lieber mein Zuchtprogramm am PC, das ist schneller, sicherer und einfacher.

 Ahnenverlustkoeffizient

 

Der AVK gibt Aussage über die Verringerung der tatsächlichen Ahnen innerhalb einer Zuchtlinie. 

Eine Ahnentafel über 5 Generationen weist 58 mögliche, unterschiedlichen Ahnen aus. Wenn nun einer dieser Ahnen in der Ahnentafel 2x auftaucht, so hat das Meerschweinchen nur 57 Vorfahren. Wenn es beispielsweise 3 Ahnen sind, die doppelt aufgelistet sind, so sind es nur noch 55 Ahnen, die tatsächlich vorhanden sind. 

Man dividiert dann die Anzahl der tatsächlich vorhandenen Ahnen durch die Anzahl der möglichen Ahnen, in diesem Beispiel also

55:58 =0,9482758620689655 → daraus ergibt sich ein Ahnenverlustkoeffizient von 94,8 %. Aus der Differenz des errechneten Ahnenverlustkoeffizienten zu 100% ergibt sich dann der tatsächliche Ahnenverlust, in diesem Rechenbeispiel also 5,2 % auf 5 Generationen. 

Zu beachten:

Der Ahnenverlustkoeffizient gibt im Gegensatz zum Inzuchtkoeffizienten keine Aussage darüber, wie eng die Elterntiere miteinander verwandt sind. Bei einer Inzucht mit nicht eng verwandten Elterntieren ist es also möglich, dass die Nachkommen zwar einen hohen AVK, aber einen niedrigen IK aufweisen. Die beiden Werte liefern zwei verschiedene Informationen. In der Zucht braucht man beide Werte. 
Ein IK von =% bedeutet lediglich, dass die beiden Elterntiere nicht miteinander verwandt sind. Liegt der Wert des AVK bei 100%, dann ist in der Ahnenreihe kein Vorfahre 2x vorhanden.
Wenn also nur eine Fremdverpaarung eines Elternteils stattfindet, ist der IK nutzlos, denn er sinkt sofort auf 0% und gibt dementsprechend keine weitere Aussage über den tatsächlichen Verwandtschaftsgrad der Nachkommen. Deshalb braucht man gleichzeitig den AVK, um die tatsächliche Inzuchtquote zu erkennen. 

 

 Heterosiseffekt

 

Sowohl in der Tierzucht, als auch in der Pflanzenzucht wird in der Genetik die besonders gut ausgeprägte Leistungsfähigkeit von Mischlingsnachkommen, den Hybriden bezeichnet. 
Man spricht immer dann vom Heterosiseffekt, wenn eine oder mehrere bestimmte Leistungen in der F1 Generation einer Kreuzung höher ist, als bei der Elterngeneration (Parentalgeneration).

Eine Verbesserung der Leistung, sei es in Bezug auf den Phänotyp oder auf Rassetypische Eigenschaften, ist dann zu beobachten, wenn sie mit ihren reinerbigen (liniengezüchteten) Eltern verglichen werden. 

Hybriden sind allerdings dann wieder Mischerbig und ich möchte in diesem Zusammenhang auf die Mendelsche Regel, Uniformitätsregel verweisen. Die Hybriden von zwei reinerbigen Eltern sind in der F1 Generation zwar im Genotyp gleich, tragen aber unterschiedliche Allele, jeweils eins von der Mutter und eines vom Vater. 

Der Heterosiseffekt ist dann zu erkennen, wenn wenn die Nachkommen von zwei stark reinerbigen aber nicht miteinander verwandten Tieren die Eltern in Leistungsfähigkeit und/oder im Phänotyp übertreffen. 

Nicht jede Verpaarung von reinerbigen Tieren wird jedoch verlässlich zu diesem Phänomen führen. Möglicherweise wird keiner der Nachkommen "besser" als die Elterntiere oder nur der Effekt zeigt sich bei nur 1 Jungtier. 

Das hängt möglicherweise davon ab, ob die gewünschten Eigenschaften dominant vererbbar sind.

 Foundereffekt (Gründereffekt)


Durch die geringe Anzahl an Allelen der an der Gründung der Gründerpopulation beteiligten Individuen und nicht durch unterschiedliche Selektionsbedingungen. Bei den Nachkommen dieser isolierten Population hat der Gründereffekt  eine erheblich geringere Bariabilität der Nachkommen, sowohl im Phänotyp als auch im Genotyp zur Folge.
Bei der Zucht von Rassehunden und Rassekatzen kann er eine Ursache für das Vorkommen rassespezifischer Erbkrankheiten sein, in wie weit sich das auf Meerschweinchen übertragen lässt, ist nicht bekannt.

Beispiel: 1934 wurden in Nordhessen 2 Waschbären frei gelassen, die schnell eine neue Waschbärenpopulation gründeten, da es diese zuvor nicht gab. Deren genetische Variation ist aber deutlich geringer als die ihrer Vorfahren, die ja ursprünglich aus Nordamerika stammten.

 

Genetischer Flaschenhals

In der Populationsgenetik wird eine erhebliche Verarmung des Genpools einer Art und die dadurch verursachte Änderung der Allelefrequenzen durch die Reduzierung auf eine kleine Population verursacht (Foundereffekt). Eine Inzuchtdepression ist die Folge eines genetischen Flaschenhalses.Um dies zu vermeiden muss also der verantwortungsvolle Meerschweinchenzüchtende einer Depression im günstigsten Fall durch Outcross oder Einkreuzen von Fremdzuchttieren entgegenwirken.

Welche Rolle spielen diese Effekte in der Zucht?

Wie wurde eine Rasse in ihren rassetypischen Merkmalen gefestigt?

Linienzucht als Zuchtmethode: Zum Zeitpunkt des Zuchtanfangs und der Verpaarung von zwei nicht nahe verwandten Tieren liegt ein größerer Genpool durch Mischerbigkeit vor.  Bei konsequenter Zucht in Linie entsteht als Folge Reinerbigkeit der Rassemerkmale und damit verringert sich der Genpool. Wenn sich dann die Population (Zuchtbestand) durch äussere Einflüsse verkleinert bleiben nur wenige Tiere als Stammtiere übrig.

Es entsteht ein genetischer Flaschenhals, denn nur der zu diesem Zeitpunkt vorliegende Genpool ist nutzbar.
Wird jedoch der Phänotyp einer Population ausgehend von einem einzigen Tier , dem Gründertier geprägt, sprechen wir vom Gründereffekt.



Überzüchtung


Unter diesem Begriff versteht man im allgemeinen Sprachgebrauch durch zu intensive Zucht hervorgerufene Veränderungen, die sich negativ auf den Phänotyp und/oder den Genotyp der Rasse innerhalb einer Zuchtpopulation auswirken. Eine genauere Definition gibt es nicht und dieser Begriff wird wohl in der Wissenschaft wegen seiner schlechten Abgrenzbarkeit nicht verwendet. 
Man umschreibt damit wohl eher verallgemeinert Themen, die durch Inzuchtdepression, das Aufdecken von Gendefekten durch Rückverpaarungen, negative Veränderungen im Phänotyp die gesundheitliche Probleme verursachen (z B. zu kurze Schnauzen bei bestimmten Rassen, HD bei div. Hunderassen).

Inzuchtdepression

 

Darunter versteht man vereinfacht ausgedrückt die Reduktion der Leistung die sich bei einem zu hohen Inzuchtkoeffizenten innerhalb einer Population durch Degeneration und höherer Krankheitsanfälligkeit äußert. Des Weiteren kann es zu Unfruchtbarkeit kommenund somit letztlich sogar zum Aussterben der Population. 

Durch die Reduktion der Allele verkleinert sich der Genpool so stark, dass es sogar bei der Verpaarung von nicht verwandten Tieren zur Inzucht kommt. 

Eine Inzuchtdepression führt also möglicherweise zu:

-kürzerer Lebensdauer
-verstärktem Auftreten von Krankheiten innerhalb einer Population
-geringerem Wachstum
-verringerter Fruchtbarkeit
-bei unkontrollierter Inzucht zu gehäuftem Auftreten von genetisch bedingten Krankheiten
-Degeneration der Population
-Minderung der Intelligenz

In der Natur tritt dieser Effekt z. B. bei Populationen auf Inseln auf, die keine Möglichkeit zur Erweiterung des Genpools haben. 

Bei völlig unkontrollierten Vermehrungen von Meerschweinchen in Gefangenschaft,  kann man häufig die Folgen einer solchen Inzuchtdepression beobachten. Es kommt zu Fehlbildungen usw.

In einer streng kontrollierten Linienzucht reduziert sich zwar einerseits die Vererbung von genetischen Defekten durch Selektion, gleichzeitig können aber bei zu lange und zu eng gezogenen Linien neue Defekte entstehen (Spontanmutationen), oder es kann zu anderen, nicht sichtbaren Anzeichen der Inzuchtdepression kommen, wie z. B. verminderte Fruchtbarkeit.

Bei Meerschweinchen und anderen Nagern ist Inzucht nicht verboten, da sie relativ inzuchtstabil sind und es bislang nur wenige Gendefekte gibt. In der Praxis heisst das, dass im Gegensatz zu anderen Tierarten Inzuchtdepressionen erst sehr spät auftreten. Bislang gibt es auch nur ein bekanntes Gen, das bei Verdopplung zu starken Behinderungen, bzw. zum Tod der Tiere durch einen Lethalfaktor führt. Siehe auch Schimmel-/Dalmatinerzucht.. 

Durch gezieltes  Entgegenwirken einer Depression kann diese aber auch durch Fremdzucht und/oder Outcross überwunden werden. Eigentlich sollte sie durch kontrollieren des IK und AVK erst gar nicht entstehen, denn diese Werte sagen uns, wann gezieltes Handeln erforderlich ist, bevor eine Inzuchtdepression auftritt. 

Der Inzuchtkoeffizient sollte so gering wie möglich, der Ahnenverlustkoeffizient so hoch wie möglich sein. Es gibt aber keinen festgelegten Wert, ab wann eine Inzuchtdepression auftritt. 

Wenn man der Inzuchtdepression entgegenwirken möchte, so empfiehlt sich in der Regel das Auskreuzen, denn das Einkreuzen von Fremdzuchttieren birgt die Gefahr, dass man sich unerwünschte Merkmale wie Zahnfehlstellungen, Fehlwirbel, Fettaugen oder andere Zuchtfehler einschleppt. Dies sollte man auf jeden Fall bei der Auswahl der Zuchttiere beachten.


Purging

Als Purging (Inzuchterholung) bezeichnet man die Überwindung einer Inzuchtdepression. 

 

In der Natur und bei der Züchtung von Tieren oder Pflanzen kommt es immer wieder zur sogenannten Inzucht, bei der eng verwandte Individuen miteinander Nachkommen zeugen. Inzucht kann jedoch auch negative Auswirkungen haben, da sich bei eng verwandten Individuen häufiger schädliche Gene häufen. Die Ansammlung solcher schädlichen Gene führt zu einer Inzuchtdepression, die Gesundheit und Überlebensfähigkeit der Nachkommen beeinträchtigen kann. Inzuchtdepression zeigt sich oft in Form von Schwäche, geringerer Lebensdauer, verminderter Fortpflanzungsfähigkeit und Anfälligkeit für Krankheiten.

Eine Möglichkeit, die Folgen einer Inzuchtdepression zu mildern, ist der Prozess des Purging, auch Inzuchterholung genannt. Purging bedeutet in diesem Zusammenhang das „Reinigen“ des Genpools von schädlichen Genen. Das Prinzip dabei ist einfach: Die Organismen, die besonders empfindlich auf diese schädlichen Gene reagieren, haben oft eine geringere Überlebenswahrscheinlichkeit und pflanzen sich seltener fort. So können im Laufe mehrerer Generationen die nachteiligen Gene langsam „ausgewaschen“ werden, da sich diejenigen Tiere oder Pflanzen durchsetzen, die weniger anfällig für die negativen Effekte der Inzucht sind.

Wie funktioniert Purging genau?

Purging kann über Generationen hinweg geschehen, ohne dass Menschen oder andere äußere Kräfte aktiv eingreifen. Es handelt sich um einen natürlichen Selektionsprozess, bei dem die fitteren, genetisch gesünderen Individuen überleben und sich fortpflanzen. Damit dies funktioniert, müssen jedoch einige Bedingungen erfüllt sein:

1.Die Selektion muss stark genug sein**: Die schädlichen Gene müssen den Organismen tatsächlich Nachteile bringen, damit sie sich nicht durchsetzen. Wenn das der Fall ist, werden sie durch die natürliche Selektion allmählich aus der Population entfernt.

2.Die Population sollte nicht zu klein sein**: Wenn nur wenige Individuen vorhanden sind, kann der Genpool sehr begrenzt sein, und es ist schwerer, die schädlichen Gene "herauszuselektionieren". Ein gewisses Maß an genetischer Vielfalt ist wichtig, damit die Population resilient genug ist.

3. Zeit und mehrere Generationen: Purging ist ein Prozess, der Zeit braucht. Inzuchterholung passiert nicht sofort, sondern über mehrere Generationen hinweg. Nach und nach setzen sich die Individuen durch, die weniger schädliche Gene tragen, und die negativen Auswirkungen der Inzuchtdepression können nachlassen.

 

Wo wird Purging genutzt oder beobachtet?

Purging wird besonders bei der Zucht von Tieren oder Pflanzen beobachtet und teilweise auch genutzt. Wenn Züchter feststellen, dass ihre Population an einer Inzuchtdepression leidet, versuchen sie manchmal, diese durch kontrollierte Züchtung und Purging abzuschwächen. Allerdings birgt dieser Prozess auch Risiken und kann lange dauern. In manchen Fällen versuchen Züchter daher, frische Gene von verwandten, jedoch nicht verwandten Populationen einzuführen, um die genetische Vielfalt schnell wieder zu erhöhen.

Purging wurde außerdem in Wildpopulationen beobachtet, insbesondere bei kleinen, isolierten Tierpopulationen. Solche Populationen haben oft keine Wahl und müssen sich mit verwandten Partnern fortpflanzen. Die Natur selektiert im Laufe der Zeit oft die robustesten Individuen heraus, sodass die Population langfristig stabil bleibt.

 

Grenzen und Risiken von Purging

Obwohl Purging in manchen Fällen erfolgreich sein kann, ist es kein Wundermittel und bringt auch Risiken mit sich. In sehr kleinen Populationen, in denen die genetische Vielfalt schon stark eingeschränkt ist, kann Purging nicht immer stattfinden, weil es zu wenige gesunde genetische Alternativen gibt. In solchen Fällen kann die Population langfristig gefährdet sein. Eine weitere Herausforderung ist, dass der Prozess der Inzuchterholung lange dauert und keine Garantie für vollständige Erholung bietet.

Beispiel: Stellen wir uns eine Population von seltenen Tieren auf einer abgelegenen Insel vor. Über viele Generationen hinweg könnte Purging dazu führen, dass nur die genetisch robustesten Tiere überleben und sich vermehren, was die Population stabilisiert. Doch wenn neue Umweltbedingungen eintreten oder die Isolation gebrochen wird, kann das Überleben der Population trotzdem gefährdet sein, weil die genetische Vielfalt fehlt, um sich an neue Gegebenheiten anzupassen.

 

Zusammenfassung

Purging (Inzuchterholung) ist ein natürlicher Prozess, bei dem schädliche Gene in einer Population durch natürliche Selektion allmählich entfernt werden, um die Auswirkungen einer Inzuchtdepression zu überwinden. Dieser Prozess ist langfristig und erfordert bestimmte Bedingungen, damit er erfolgreich ist. Purging kann in Zuchtprogrammen sowie in Wildpopulationen vorkommen und stellt eine Möglichkeit dar, die Folgen von Inzucht abzumildern.

Es ist jedoch nicht immer eine ausreichende oder schnelle Lösung, und in einigen Fällen kann das gezielte Einbringen von neuen Genen aus fremden Populationen erforderlich sein, um das langfristige Überleben zu sichern.