Die Zähne der Meerschweinchen

Das Gebiss der Meerschweinchen weist eine besondere Anatomie und Funktion auf. Aufgrund ihres speziellen Stoffwechsels und Verdauungssystems müssen Meerschweinchen kontinuierlich faserreiche und blättrige Nahrung aufnehmen. Hierfür benötigen sie ein Gebiss, das der dauerhaften Belastung standhält, da die Zähne einem ständigen Abrieb unterliegen.
Die Zähne wachsen daher wöchentlich um etwa 1–2 Millimeter nach.
Das Gebiss besteht aus zwei oberen und zwei unteren Nagezähnen sowie jeweils acht Backenzähnen. Insgesamt verfügt ein Meerschweinchen somit über 20 Zähne.
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Kau- und Zahnprobleme bei Meerschweinchen
Das Kauen der Meerschweinchen erfolgt nicht in Mahlbewegungen, sondern durch Schiebebewegungen von hinten nach vorne.
Eine Besonderheit besteht darin, dass die Zähne der Meerschweinchen wurzeloffen sind. Unter den Zahnwurzeln liegt sozusagen die „Zahnfabrik“. Dort finden die Prozesse statt, die das ständige Zahnwachstum ermöglichen.
Durch die offenen Wurzeln sind die Backenzähne jedoch empfindlicher gegenüber Druck als menschliche Backenzähne. Hartes Futter wie getrocknete Maiskörner, Pelletfutter oder Getreidekörner ist daher ungeeignet und sogar schädlich. Eine Überlastung kann zu Entzündungen und Abszessen führen.
Pellet- und Trockenfutter
Neben der erhöhten Druckbelastung birgt solches Futter ein weiteres Risiko: Es quillt im Magen auf und sättigt zu schnell. Dadurch wird zu wenig rohfaserhaltige Nahrung aufgenommen, was zu unzureichendem Zahnabrieb führt. Die Folge sind überlange Nagezähne sowie Zahnspitzen an den Backenzähnen, die die Schleimhaut verletzen können. Langfristig können sogenannte Zahnbrücken entstehen, wenn die Backenzähne nach innen zusammenwachsen. Dies blockiert die Zunge und verhindert das Schlucken.
Aufmerksame Halterinnen und Halter sollten bereits frühzeitig bemerken, dass das Tier nicht mehr richtig kauen oder schlucken kann. Spätestens dann ist ein Besuch in einer Tierarztpraxis notwendig.
Zu lange Zähne und Zahnspitzen verursachen Schmerzen, erschweren die Nahrungsaufnahme und führen zu Mangelernährung. Das Verdauungssystem gerät dadurch aus dem Gleichgewicht, was Durchfall oder andere Kotveränderungen zur Folge haben kann.
Woran erkenne ich Zahnprobleme beim Meerschweinchen?
Spätestens bei folgenden Anzeichen sollte eine Tierärztin oder ein Tierarzt aufgesucht werden:
- Verringerte Nahrungsaufnahme oder komplette Futterverweigerung (Pseudoanorexie)
- Ungewöhnliche Kaubewegungen oder erschwertes Schlucken
- Seltsame Kopfbewegungen beim Fressen
- Speichelfluss (nasses Fell unter dem Mäulchen)
- Gewichtsverlust
- Abszesse im Kieferbereich
- Veränderter Kot oder Durchfall
- Zähneknirschen
- Sichtbar zu lange, schiefe oder ungleichmäßig abgenutzte Nagezähne
Diagnose und Behandlung
Für eine genaue Diagnose sind Röntgenaufnahmen in drei Ebenen erforderlich.
Eine fachgerechte Zahnbehandlung sollte stets durch eine Tierärztin oder einen Tierarzt erfolgen. Die Zähne müssen in Sedierung so eingeschliffen werden, dass sie wieder korrekt artikulieren. Ein Abknipsen einzelner Zähne oder Zahnspitzen gilt nicht mehr als lege artis. Das gesamte Gebiss, einschließlich der Backenzähne, muss untersucht werden.
Nach einer Behandlung kann es vorkommen, dass das Meerschweinchen vorübergehend nicht fressen möchte. In diesem Fall sind intensive Pflege und gegebenenfalls Päppelfutter erforderlich.
Die meisten Zahnprobleme lassen sich durch eine artgerechte Fütterung vermeiden. Ist jedoch eine angeborene Zahnfehlstellung vorhanden, kann ein regelmäßiges Einschleifen erforderlich sein.
Bei entzündeten Zahnwurzeln oder Kieferabszessen kann eine Zahnentfernung notwendig werden. Begleitend sind entzündungshemmende und schmerzlindernde Medikamente angezeigt.
Makrodontie bei Meerschweinchen
Ein selten beschriebenes und bislang wenig erforschtes Phänomen ist die sogenannte Makrodontie. Darunter versteht man Zähne, die im Verhältnis zur Kiefergröße zu breit sind. Betroffen sein kann ein einzelner oder mehrere Zähne. Makrodontie tritt sowohl bei Menschen als auch bei anderen Säugetieren auf und gilt als selten.
Die Ursachen sind bislang unklar; sowohl genetische als auch erworbene Faktoren werden diskutiert.
Bei Meerschweinchen scheint Makrodontie häufiger aufzutreten, als bisher vermutet. Eine Dissertation der Tierärztlichen Hochschule Hannover untersuchte 131 Meerschweinchen mit Zahnproblemen. Davon wiesen 89 % mindestens einen Makrodonten auf.
Die Dissertation kann hier eingesehen werden:
Dissertation zur Makrodontie bei Meerschweinchen, Tierärztliche Hochschule Hannover
In der Studie wurden jedoch weder das Alter der Tiere noch deren Herkunft (seriöse Zucht oder Vermehrung) oder die Fütterung berücksichtigt. Dies wären aus fachlicher Sicht wichtige Einflussfaktoren gewesen.
Mir ist ein Fall bekannt, bei dem ein Meerschweinchen an Makrodontie litt. Dank Sandra, die mir Video, Foto und Röntgenaufnahmen zur Verfügung gestellt hat, konnte ich das Thema vertiefen. Das betroffene Tier stammte nicht aus meiner Zucht.
Die Makrodontie bei Meerschweinchen ist ein spannendes Forschungsfeld, das sicherlich noch weitere Untersuchungen erfordert.
Auf diesem Foto ist die übermäßige Breite der unteren Nagezähne deutlich zu erkennen:

Zudem zeigte sich im Röntgen, dass sich bei dem Meerschweinchen, vermutlich durch die
Fehlbelastung, am rechten unteren Prämolaren, ein retrogrades Zahnwachstum eingestellt hatte.
Das bedeutet, dass ein Zahn durch erhöhten Druck von oben, nach unten in den Kieferknochen
wächst. Da das Zahnwachstum bei Meerschweinchen auch nach unten endlos ist, wird der Zahn
irgendwann duch den Kieferknochen wachsen und die Backe durchstoßen, was sicherlich mit großen
Schmerzen für das Meerschweinchen verbunden ist. Wenn die Fehlstellung nicht durch Einschleifen korrigiert werden kann, muss der Zahn operativ entfernt werden.